BAD AACHEN 09-2018

18 | B AD A ACHEN 09/18 KULTUR F ortschritt bedeutet Chancen. Ein Beispiel aus dem echten Leben dafür ist der neue Generalmusikdirektor Christopher Ward, mit dem das Theater Aachen Bewährtes fortsetzen, die hohe Leistungs- qualität des Sinfonieorchesters weiter steigern, aber auch einige neue Wege beschreiten will. Mit Blick auf das Programm der jetzt beginnenden Spielzeit 2018/19 ist Fortschritt indes auch oft Crux – und zwar menschenverschuldet. Ob Erfindungen, Machtverschie- bungen, Hierarchien: „Zum Problem machen erst die Menschen all das – mit dem, was sie daraus machen“, ist Theater-Intendant Michael Schmitz-Aufterbeck überzeugt. Eine Überschrift oder einen roten Faden gibt er auch in der neuen Spielzeit dem Programm nicht. Doch die Themen Machtmissbrauch, Ohnmacht, Schuldfragen schweben als Grundgedanke über allem und wollen dazu anregen, Bühnenstücke und Musikdramen über ihre Funktion als grandiose Live-Unterhaltung hinaus stets auch zum Anlass zu nehmen, über aktuelle Entwicklungen in Gesellschaft und Politik nachzudenken. Dazu animiert gleich die große Auftakt-Oper. Giuseppe Verdis La forza del destino (Die Macht des Schicksals) ist, so der Intendant, „ein Familiendrama und reflektiert im Kleinen, wie fatal sich Macht- spielchen im Großen auswirken können“. Es geht um Leonora und Alvaro, die sich lieben. Der Vater der Braut in spe akzeptiert deren Wahl nicht und stellt sich dem Paar in den Weg, als es zu fliehen und einfach nur in Ruhe glücklich zu sein versucht. Das Dilemma: Alvaro will seine Angebetete nicht aufgeben, sich jedoch ebenso wenig auf einen Kampf mit deren Vater einlassen, wirft also demonstrativ seine Waffe weg. Nur dass sich ein Schuss löst und für viel Unglück sorgt... Jarg Pataki inszeniert zeitlos Wer trägt die Schuld an der Katastrophe? Die Liebenden, die sich gesellschaftlichen Vorgaben nicht beugen wollen und so die Situa- tion provozieren? Oder der Vater als Symbol für einen Machthaber, der seinen Willen über das Wohl von mündigen Individuen stellt? Natürlich können sich Zuschauer im Sinne Schmitz-Aufterbecks und dem des Regisseurs Jarg Pataki solchen Fragen stellen. Sie können aber auch einfach die Inszenierung mit Irina Popova und Arturo Martin in den Hauptrollen genießen. „ La forza del destino hat sehr viele musikalische Sichten, die man unter einen Hut bringen muss – dramatisch, komisch, tragisch unter anderen“, ist der neue Generalmusikdirektor Christopher Ward (s. B AD A ACHEN 08/18) schon voller Vorfreude: „Es ist eine Heraus- forderung, aber auch eine Bereicherung! Und da die gesamte Gesell- schaft neben die Hauptfiguren gestellt wird – als Mittäter und Geg- ner –, muss man mit den verschiedenen Gruppen intensiv arbeiten.“ Selbstredend ist das große Musiktheaterstück, das die Spielzeit mit einem wohlklingenden Paukenschlag beginnen lässt, lange nicht das einzige Werk, auf das Kulturinteressierte sich freuen dürfen. Drei weitere Premieren (alle Termine s. Kasten) signalisieren allein diesen Monat, welche immense Bandbreite das Theater Aachen sich auf die Fahne geschrieben hat. Die Uraufführung Zur Hölle mit den anderen von Nicole Armbruster steht Georg Büchners Klassiker Lenz und dem Kaufmann von Venedig gegenüber, das zweifelsohne William Shake- speares politisch umstrittenstes Werk ist – dank Anklängen von Anti- semitismus und sogar Kannibalismus. Schicksalsoper schwarz-gelb: „La forza del destino“ in Aachen. Fotos: Marie-Luise Manthei Mit der Macht der Bühne Theater als Spiegelbild der Gesellschaft und mehr noch – als Spiegel von augenzwinkernd bis dramatisch, der den Menschen vorgehalten wird: Das verbindet die sehr unterschiedlichen Stücke der beginnenden Spielzeit.

RkJQdWJsaXNoZXIy MTM5Mjg=