BAD AACHEN 04-2019

4 | B AD A ACHEN 04/19 ZIRKUS Zukunftsmusik bei Roncalli „Storyteller“ heißt das neue Programm des Circus-Theaters von Bernhard Paul, das grandios Nostalgie und Innovation verbindet. Und nicht nur der Direktor selbst hat eine besondere Beziehung zu Aachen… Von Sabine Mathieu S eit 43 Jahren verzaubert Bernhard Paul mit seinem Circus-Theater Roncalli große und kleine Besucher gleichermaßen. Der Manegen- Enthusiast hat die Illusion der guten alten Zirkuswelt in die Neuzeit transferiert: ein grandioser Erfolg! Aachen musste relativ lange auf den ersten Besuch des damals schon legendären Zirkus warten. Endlich war es so weit: Anfang April 1993 feierte Roncalli die Welt- premiere seines Programms Comedia dell’Arte auf dem Blücherplatz, gleich neben St. Elisabeth. „Jahrzehnte zuvor hat genau dort mein großes Idol, der berühmte Clown Grock , gastiert“, erzählt Bernhard Paul. Es sollte nicht die letzte Premiere eines Roncalli-Programms in Aachen bleiben, weitere folgten. Sogar die Bushaltestelle an der Jülicher Straße wurde kurzzeitig umgetauft. Heute darf Roncalli erneut hier gastieren. Von Mitte April bis Anfang Mai können sich die Aachener vom Storyteller: Gestern – heute – morgen verzaubern lassen. „Der Blücherplatz ist so nah bei den Menschen“, sagt Direktor Paul, „das ist richtig so, denn der Zirkus muss zu den Menschen kommen.“ Er mag Aachen: „Es ist eine tolle Stadt, ich spaziere hier immer gerne durch. Die historische Bedeutung seit Karl dem Großen finde ich imponierend.“ Welt der Poesie Und so verwandelt sich der Blücherplatz erneut in eine komplett autarke Welt rund um einen Zeltpalast mit fast 37 Metern Durch- messer für 1499 Gäste. An seiner Spitze ist er 16 Meter hoch. Das entspricht einem hohen Haus mit mehreren Stockwerken. Der Zuschauerraum ist der Mailänder Scala nachempfunden, die Stühle in den Logen sind mit edlem Mohair bezogen. Abends tauchen Tausende Lampen das Areal in ein bezauberndes Licht. Historische und bis ins Detail restaurierte Zirkuswagen beheimaten Artisten, dienen als Schneiderei, Büros und Restaurant. Manche von ihnen mehr als 100 Jahre alt. Zwei Tage haben 50 Helfer Zeit, unter dem Dirigat von Betriebsleiter Patrick Philadelphia und Zeltmeister Michele Rossi den Blücher- in den Roncalli-Platz zu verwandeln. Tagsüber können die Öcher auf der Terrasse des Café des Artistes Platz nehmen. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere an einen treuen Besucher der ersten Gast- spiele: Der damalige Pastor von St. Elisabeth, Pfarrer Heinz Baumann, hatte ein offenes Ohr für das fahrende Volk, das traditionell gläubig bis abergläubisch ist. Sonntags wurde der Gottesdienst dann kurzer- hand ins Zelt verlegt. Ein Besuch bei Roncalli war und ist der Eintritt in eine poetische Welt. Die Artisten empfangen die Gäste im Konfettiregen, drücken ihnen einen roten Punkt auf die Nase. Den Besucher erwartet im Zelt der unnachahmliche Geruch von acht Kubikmetern Sägemehl, ein Requisit, das man inzwischen oft vergeblich sucht. Bei Roncalli ist es unerlässlich. Clowns und Holografie Auf Pferde und andere tierische Mitwirkende verzichtet Bernhard Paul konsequent. Stattdessen dürfen sich die Zirkusbegeisterten auf holografierte Vierbeiner freuen. Die Illusion, das Pfund, mit dem das Circus-Theater Roncalli geschickt wuchert, schafft ein Team von 3-D-Grafikern und Medientechnikern. Elf Laser-Beamer lassen Elefan- ten und Pferde als tierisches Ersatzprogramm erscheinen. Nostalgi- sche Poesie und moderne Technik verschmelzen in perfekter Kombi- nation. Wie anders war es doch vor 26 Jahren, als Star-Dompteur René Strickler mit seiner spektakulären Raubtiernummer auftrat. Tiger in der Manege? Das ist endgültig vorbei, und der schöne René inzwischen 70 Jahre alt. „Wir gehen mit der Zeit“, betont Bernhard Paul, „wir sind frei von Plastik, servieren biologische Lebensmittel. Einerseits sind wir ganz modern, andererseits Roncalli geblieben.“ Legendär sind die Nummern der Clowns. Zirkuschef Paul hatte sich selbst als Zippo zum Aushängeschild seines Unternehmens gemacht. Der gutmütige dumme August gegen die vermeintliche Cleverness des Weißclowns. Unvergessen in der Rolle ist Francesco Caroli, wenn er mit blauem Umhang und Saxofon für atemlose Stille auf den Rängen sorgte. Unvergleichlich elegant scheuchte er die muntere Truppe der Clowns durch das Manegenrund. Die Zuschauer durften Tränen lachen. Mit Gensi hat Roncalli einen würdigen Nachfolger gefunden. Der studierte Theaterwissenschaftler, im wahren Leben Fulgensi Mestres, stammt aus Spanien und hat seit 2005 seinen Stammplatz in der Roncalli-Familie. Er findet seinen Vom Laser erschaffen: Elf Beamer lassen Elefanten und Pferde tanzen. Fotos: Roncalli Mexikaner mit Witz: Chistirrin ist die neue „Lachnummer“ an der Seite von Weißclown Gensi.

RkJQdWJsaXNoZXIy MTM5Mjg=