BAD AACHEN 10-2020

20 | B AD A ACHEN 10/20 KULTUR Es lebe die Revolution Im Theater Aachen steht mit Jean Giraudoux’ Komödie „Die Irre von Chaillot“ eine lustvoll böse Inszenierung auf dem Programm, bei der Ewa Teilmans mit kühnem Widerstand, Menschen und Musik spielt. Von Sabine Rother W er ist hier wirklich irre? Was bedeutet der Begriff überhaupt? Arme Irre? Reiche Irre? Wer treibt den Wahnsinn ohne eine Spur von Skrupeln auf die Spitze? Die Irre von Chaillot ( La Folle de Chaillot ) von Jean Giraudoux (1882–1944) ist ein prophetisches Stück, das bis heute der Menschheit eine beunruhigende universelle Frage stellt. Sein letztes Werk, 1943 in der Zeit der deutschen Besatzung geschrieben, ist erst kurz vor dem rätselhaften Tod des Schriftstellers erschienen – im Rahmen einer Sammlung von Vorträgen und Essays. Es wurde im Dezember 1945 in Paris uraufgeführt. Die deutschsprachige Erstaufführung war im Juni 1946 im Schauspielhaus Zürich möglich. Für die Bühne des Theaters Aachen (Premiere: 10. Oktober) ist Regisseurin Ewa Teilmans damit beschäftigt, die ungebrochen kraft- volle und irritierende Satire zu entschlüsseln. „Die Theaterleitung hat es mir angeboten, nachdem aus Kreisen der Zuschauer der Hinweis kam, dieses Stück genauer anzusehen“, erzählt Ewa Teilmans, die von der Sicht Giraudoux‘ auf die Welt mit ihren Gierigen und Mächtigen sofort beeindruckt war, aber auch gesteht: „Ich kannte es bis dahin nicht. Es war für mich eine wahre Entdeckung.“ In der Geschichte wird von skrupellosen Geschäftsleuten erzählt, die in zahlreichen Aufsichtsräten aktiv sind. Sie wollen eine Aktien- gesellschaft gründen und den Teil der Stadt Paris sprengen, in dem ausgerechnet die armen Leute leben. Denn die Kapitalisten vermuten im Untergrund der Stadt ein Ölvorkommen und scheren sich nicht um Leben und Kultur der menschlichen Gemeinschaft. Eine unerwartete Wendung Bei Ewa Teilmans bestimmen Vierer-Gespanne den Handlungs- gang, ein Trupp aus den mörderisch Mächtigen (Präsident/Torsten Borm, Baron/Hermann Killmeyer, Broker/Tommy Wiesner, Erdölratte/ Rainer Krause), die Gruppe der skurrilen und später revolutionären alten Damen Aurélie, Constance, Gabriele und Joséphine (gespielt von Stefanie Rösner, Björn Jacobsen, Alexander Wanat und Larisa Akbari). Und da ist noch eine Gruppe aus den Menschen vom Kiez von Chaillot. „Aurélie ist für mich eine Metapher für eine unerwartete Wendung, für Verantwortungsübernahme und Politisie- rung“, betont die Regisseurin. „Wir hätten ja auch nicht gedacht, dass uns die Kinder aufrütteln werden.“ Und so spielt auch eine Greta Thunberg mit in dieser revolutionären Satire. Tyrannisches Verhalten, das man bisher nicht für möglich gehalten hat, findet man in den tagesaktuellen Nachrichten. „Wenn man solche Realität auf der Bühne zeigt, ist es pure Realsatire“, betont Ewa Teilmans. Innere Nähe trotz äußerer Distanz Inszenieren in Zeiten der Hygiene-Vorschriften wegen des Coronarisikos? Ewa Teilmans kreiert daraus einen eigenen Spielstil. „Die äußere Distanz spielt keine Rolle“, betont sie. Zur Vorbereitung fordert sie ihre Darsteller häufig auf, eine Szene zu improvisieren: „Ein Liebespaar muss zum Beispiel seine Gefühle anders ausdrücken, wenn es sich nicht berühren darf!“ Bei den Proben: Larisa Akbari und Ewa Teilmans. Probenfotos: Marie-Luise Manthei

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