BAD AACHEN 12-2022

58 | BAD AACHEN 12/22 TOPFGUCKER Weihnachten weckt Wehmut „Ukrainer in Aachen“ – so heißt der gemeinnützige deutsch-ukrainische Verein, der aktuell in Gründung ist. Rund zehn Monate nach Beginn des Krieges in ihrem Land feiern auch die Initiatoren in Aachen Weihnachten. Was bedeutet dieses Fest für sie? In Gedenken an ihre Heimat stellen zwei Ukrainerinnen in diesem Jahr weihnachtliche Traditionen in BAD AACHEN vor. Von Sabine Rother Der Duft von Heu und frisch gebackenem Brot liegt in der Luft, Aromen kommen aus der Küche und zu den Gedecken, die bereits auf dem Tisch liegen, wird noch eines mit einer Kerze auf die Fensterbank gelegt – für die Seelen der Verstorbenen, die man vermisst: Ukrainische Weihnacht ist ein Fest für die Familie, das vielen jetzt, wo dort Krieg herrscht und Geflüchtete in anderen Ländern leben, ein wenig Heimat schenkt. „Für uns ist es die Aufrecht- erhaltung unserer Kultur, die man uns nehmen will“, sagt Anna Kysil (29), die zusammen mit Julia Pich (42) im Verein Ukrainer in Aachen aktiv ist. Julia Pich ist Juristin, mit einem Deutschen verheiratet und hat zwei Söhne. Gemeinsam wissen sie aus ihrer Kindheit, wie herrlich es war, wenn in der Küche Großmutter, Mutter und Kinder für die Weihnachtstage kochten, wenn man das Gemüse putzte, Teig ausrollte und Füllungen mischte für die Teigtaschen, die Warenyky: Pilze, Kartoffeln, Sauerkraut, auch süße Kirschen und Hüttenkäse. „Ukrainische Küche ist vielfältig“, weiß Julia Pich. „Das wollen wir demnächst sogar in einem Kochkurs zeigen, den wir an der Volkshochschule Aachen geben.“ Zwölf Gerichte an Heiligabend Ob man nun nach dem julianischen Kalender der orthodoxen Kirche Weihnachten am 7. Januar (6. Januar: Heiligabend) feiert oder nach dem gregorianischen Kalender ab dem 24. Dezember die Kerzen anzündet, gefeiert wird mit traditionellen Gerichten und Liedern. Was ist wichtig? Auf den Tisch an Heiligabend gehören zwölf (!) Gerichte. „Da denken wir an die zwölf Apostel“, erklärt Julia Pich. Bevor nicht der erste Stern am Himmel glänzt, darf nichts angerührt werden. „Ist es bedeckt, müssen wir die Wetter-App nutzen“, lächelt Anna Kysil. Unter dem Tisch liegen Heuballen, die an das Kind in der Krippe erinnern. Etwas davon streut man sogar auf den Tisch. „Zusätzlich gibt es kunstvolle Gestecke aus Weizenhalmen, symbolische Opfer der Herbsternte“, beschreibt es Anna Kysil. Diese Didukhy kommen als Weihnachtsdekoration aus der Ukraine. Wie die festliche Tafel aussieht, geben sie an Familie und Freunde weiter. Wichtig: Der Heiligabend bleibt fleischlos, nur Fisch (Hecht, Hering) ist gestattet. Auf Kutja, den Brei aus Weizen, der mit Rosinen, Mohn, Honig und Walnüssen gekocht wird, freut man sich ein ganzes Jahr lang. Borschtsch darf nicht fehlen, das ukrainische Nationalgericht, das von der UNESCO auf die Liste des immateriellen Kulturerbes des Landes gesetzt wurde. Es ist ein herzhaft-süßlicher Eintopf. Rote Bete, Weißkohl oder Spitzkohl, Kartoffeln, Möhren, die zusammen mit Zwiebeln und Knoblauch, oft eingelegten Tomaten, Lorbeer, Pfeffer und Salz in den Topf wandern, garen miteinander. Das Aroma von Rote Bete und die Farbe prägen die Suppe, die man auch in einer nicht-vegetarischen Variation mit Rind- oder Geflügelfleisch zubereiten kann. Aufgestreute Petersilie und Dill sowie ein Löffel Schmand oder saure Sahne geben Borschtsch den richtigen Pfiff. Um die zwölf Gerichte zu erfüllen, gibt es Gemüsesalate, Brötchen mit Knoblauchöl und Beilagen wie marinierte Gurken aus Nizhyn, die besonders beliebt sind. Gleichfalls gehören Krapfen zur Weihnachtsküche. Der Geschmack von Heimat Alkohol zum Essen ist erst ab dem ersten Weihnachtstag gestattet, an dem Braten, Schinken und Wurst zum Genießen locken. Dazu ein Horilka, ein Korn. An Heiligabend kommt Uswar, ein Getränk aus dem Kompott von getrockneten Pflaumen, Birnen und Marillen, in die Gläser. Als unter sowjetischem Regime religiöse Feste verboten waren, hat man dennoch stets weihnachtlich gekocht und heimlich gebetet, wie die Ukrainerinnen erzählen. Wenn sie heute an Weihnachten daheim denken, werden Julia Pich und Anna Kysil wehmütig: klirrend kalte Nächte mit Frost in der Luft, Kinder, die als Weihnachtssänger zur Geburt Christi gratulieren und Wohlstand und Gesundheit im neuen Jahr wünschen, Nachbarn, die einander besuchen: „Bevor jemand an der Tür war, haben wir gehört, wie Schritte im Schnee knirschten und die Schuhe abgeklopft wurden“, erzählt Julia Pich. „Das vergesse ich nie“, blickt sie zurück. www.ukrainer-in-aachen.de Ukrainerinnen in Aachen: Julia Pich und Anna Kysil. Foto: Andreas Herrmann

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